CHINA literarisch entdecken

©Falk Kagelmacher

moderne Literatur aus CHINA

Anläßlich der Uli-Sigg-Ausstellung „Mahjong“ 2006 in Hamburg hat KATHARINA SCHÜTZ auch ihre Liebe zur chinesischen Literatur entdeckt. Sie lässt in ihrem aktuellen China-Abend Texte chinesischer Autoren lebendig werden bis hin zum Literaturnobelpreisträger des Jahres 2012, MO YAN. Sie setzen sich auf bissige, satirische, melancholische, immer aber überraschende Weise mit den Entwicklungen im neuen China auseinander – Gedanken im Dreieck zwischen der Jahrtausende langen Geschichte, der Ära des roten Parteibuchs und dem Zeitalter der Smartphones.

In ihrer sorgfältig choreographierten Lesung erlebt man China ganz anders als in den aufpolierten Eindrücken von Pauschaltouristen oder den glatten Berichten der meisten internationalen Medien. Es sind intime Einblicke in verborgene Ecken der Gesellschaft und in private Gedanken und Gefühle, die Ausländern auch nach langen Jahren der Beschäftigung mit China oft verschlossen bleiben.

In Mo YANs Roman „Die Schnapsstadt“ von 2002 beschreibt er einen Ermittler, der auf dem Land dem Gerücht nachgehen soll, dort würden Kleinkinder als Delikatesse in einem geheimen Restaurant serviert. Katharina Schütz hat die ersten 250 Seiten auf eine halbe Stunde eingedampft.

„… Ding Gou’er schlang seine langen Arme um die Taille der Lastwangefahrerin und presste seine erfahrenen Lippen auf die ihren. Sie drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, um dem Kuss zu entgehen, aber er konterte ihre Bewegungen geschickt. Noch mitten im Kampf saugte er ihre üppigen Lippen in seinen Mund. Sie stieß halb verständliche Flüche aus: Verdammt noch mal! …. Die Erfahrung sagte ihm, daß der Widerstand nicht mehr lange währen würde, daß ihr Gesicht bald rot und feucht werden würde, daß ihr Atem schwer gehen würde, daß ihr Bauch Feuer fangen würde … Frauen sind nun einmal so. Was aber wirklich geschah, bewies ihm schlagartig, daß man aus einer allgemeinen Regel nicht immer auf den Einzelfall schließen darf…“
aus Schnapsstadt von Mo Yan ©
Unionsverlag

 

Sie liest Guo Xiaolu, die Schriftstellerin und Filmemacherin, die in Hamburg den Filmpreis und in Locarno den goldenen Leoparden gewonnen hat.

„…Dreizehn Stunden später landeten wir in Beijing. Die ganze Tag laufe ich durch die Stadt. Der sandige Wind aus mongolische Wüste pfeift durch die Fahrräder, Bäume und Dächer. Kein Wunder, dass die Menschen hier zäher und robuster sind. Die ganze Stadt ist staubig und schmutzig. Die ganze Horizont steht mit unfertige Wolkenkratzergerippe voll, überall nackte Baustellen…“
aus „Kleines Wörterbuch für Liebende“ von Guo Xiaolu ©Knaus Verlag

 

und liest eine Kurzgeschichte von Si Jidong und aus Romanen der beiden Bestsellerautoren Mai Jia und Yu Hua und aus „Der Shanghaier Bund“ von Chen Danyan.

„…Schattenboxer waren wie Passanten, die zufällig die gleiche Straße benutzten. Sie folgten synchron in Reih und Glied ihrem Meister bei den Übungen. Die helle Morgensonne schien auf ihre Verschlossenheit, ihre Abgespanntheit und ihre Bitterkeit. Wie das Blinken der Pfützen nach einem Regenguss! Reiterstellung, aufrechter Kranich,
eifrig drückten sie gegen den Luftwiderstand an. Sie ruderten mit den Schultern, suchten das Gleichgewicht zwischen der äußeren Welt und ihrem Inneren. Lautlos bewegten sie sich mit blitzschnellen Wendungen, als gingen sie überlegt die Planung großer Dinge an. Diese reservierten Früh-sportler umgab ein geheimnisvoller Hauch. Gerüchte verbreiteten sich unter den Schattenboxern trotzdem…“ aus „Der Shanghaier Bund“ von Chen Danyan ©Horlemann Verlag

 

“… Am nächsten Morgen, als Song Fanping und seine Söhne gerade zu ihrem Ausflug ans Meer aufbrechen wollten, erschien ein starkes Aufgebot von Armbinden-Trägern aus Songs Schule – rund ein Dutzend Leute – und besetzte im Nu wie ein Schwarm Krabben jeden Winkel des Hauses. Glatzkopf-Li und Song Gang, nicht ahnend, dass dies eine Haussuchung war, nahmen an, ein paar Freunde des Vaters seien vorbeigekommen. Sie freuten sich über den Besuch so vieler fremder Leute mit roten Armbinden und wuselten vergnügt und aufgeregt durch das Getümmel, als spielten sie Verstecken im Walde. Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall, der sie vor Schreck erzittern ließ. Entsetzt sahen sie, dass der Kleiderschrank umgekippt worden war…“
aus „Brüder“ von Yu Hua © Fischer, Prof.Dr.U.Kautz

 

„… Berühmt war die Schule allerdings schon, als sie noch »Lilleys Akademie für Mathematik« hieß. Und das lag zuallererst an John Lilley selbst, der, den Reaktionen seiner schockierten Umgebung zum Trotz, auch Studentinnen an seiner Akademie akzeptierte. Die Schule wurde so zu einer regelrechten Touristenattraktion; wie bei einer Peepshow spähten die Besucher der Provinzhauptstadt über den Schulzaun und amüsierten oder empörten sich über den Anblick der Studentinnen oder beides zugleich.“
aus „Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong“ von Mai Jia ©Deutsche Verlags-Anstalt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, LÄNDER literarisch, Lesungen abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.